Wattenmeer

Mein Blick kann diese Weite nicht fassen, die sich da vor meinen Augen ausgebreitet hat. Der klagende Schrei einer Möwe durchbricht die Stille, die die Wolken über den grauen Schlick gelegt haben.

Noch stehen die Füsse im kargen Grün des Inselgrundes, doch mit der steigenden Flut, die schon in der Ferne lautlos den Priellauf füllt, bereitet sich in meinem Herzen nur der eine grosse Wunsch aus.

Hart graben sich die Zähne ins trockene Fleisch der Lippen und beissend peitscht der Wind kalte Feuchtigkeit ins Gesicht, treibt Tränen in die Augen. Der heisse Körper dreht sich sehnsüchtig der Brise entgegen und Hände graben sich in den weichen Sand, um sich dann – schon wieder verzweifelt – zu Fäusten zu ballen.

Einsamkeit verliert ihren Schrecken und hüllt sich in trügerischen Sieg.
Noch stehen die Füsse sicher auf dem Grund, doch erwartungsvolles Zittern durchläuft brennend den Körper, dessen Herz nur in eine Richtung zieht.

Hass zeichnet Bilder der Menschheit und Verachtung malt ihre Werke. Die Gedanken schwindelerregend verstrickt, verlieren ihre Bestimmung in der Unendlichkeit des Horizontes.

Von einer unvergleichbaren Landschaft in den Bann gezogen, von einer Möglichkeit gefesselt, die Ruhe verspricht, von einer Angst gebremst, die vor „vergessen können“ warnt und einem Stolz gehindert, der nicht aufgeben kann.

Ein Gewitter, das sich in meinen Blutbahnen entlädt, ein Sturm, der die Gedanken verweht, eine Weite, die jedem Ziel den Sinn nimmt.

Da möchte ein ganzer Körper Eins werden mit seiner Umgebung, da drehen Füsse Kreise am noch sicheren Ufer, da spielen sich Verstand und Herz gegenseitig aus, um endlich einer hilflosen Ohnmacht zu erliegen.

Was hat dieses Messer in dieser Faust verloren?
Ist es die Wut, gebremst zu werden, ist es das Erleben einer Einsamkeit, in der du schon wieder bist, noch immer am Ufer stehend?

Den Verstand schon in der Weite des Horizontes verloren, das Herz vom Wind in tausend Stücke zerfetzt, bleibt noch ein kläglicher Versuch mein Ich dennoch fest zu halten, das schon im Nebel, blind der stillen Flut zu stolpert.

Ein feiner Schmerz regt nun die tauben Sinne, ein warmer Blutstropfen fällt auf den Boden der Gegenwart und lässt mein Ich zurückkehren. Tränen reinigen die Augen, Lippen formen erklärend Sätze, welche den Ohren Aufgabe und Sinn geben, und ein Herz weint, da Schmerz nun fühlbar, seine ganze Einsamkeit hinaus.

Nichts wird gehört, nichts wird bemerkt, nichts wird vermisst. Was bleibt, ist eine kleine Narbe, harmlos, unscheinbar, bedeutungslos. Bedeutungslos?

Bleibt darin nicht ein ganzer Wunsch zurück? Bleibt darin nicht eine ganze Angst zurück? Ist darin nicht eine Warnung unserer oft so tauben Sinne gegeben, die den Hilfeschrei in der Weite der Welt nicht hören noch senden mögen?

Oh trügerische Einsamkeit, du ziehst mich in deinen Bann.
Oh grenzenlose Weite, ich spüre keine Furcht vor dir.
Oh blinder Traum, oft träume ich dich.
Doch mein Weg geht an dir vorbei!

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